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Mulholland Drive



Land: USA / Frankreich
Laufzeit: 147 Minuten
FSK: 16
Starttermin: 3. Januar 2002

Genre: Mystery-Thriller

Regie: David Lynch
Drehbuch: David Lynch
Darsteller: Naomi Watts, Laura Harring, Justin Theroux, Ann Miller, Dan Hedaya, Mark Pellegrino, Brian Beacock, Robert Forster, Monty Montgomery, Billy Ray Cyrus, Chad Everett, Kate Forster, Scott Coffey, Michael John Anderson, Katharine Towne, Lee Grant, Matt Gallini, Melissa George, Marcus Graham, Sean E. Markland, Elizabeth Lackey, Jeanne Bates, Missy Crider, James Karen, Patrick Fischler, Vincent Castellanos, Michael Des Barres, Michael Fairman, Wayne Grace, Lori Heuring, Michele Hicks, Tad Horino, Tony Longo, Rena Riffel, David Schroeder, Robert Katims, Rita Taggart, Angelo Badalamenti, Diane Baker, Johanna Stein
Kamera: Peter Deming
Schnitt: Mary Sweeney
Musik: Angelo Badalamenti








Jeder kennt diese Situation sicherlich: Da schaut man sich einen netten Thriller an, der gleich zu Beginn Rätsel aufgibt und die Menge an unverständlichen Vorgängen im weiteren Filmverlauf kontinuierlich steigert. Das Filmende liefert schließlich die erlösende, mehr oder weniger logische und überraschende Auflösung und ein in dieser Beziehung befriedigendes Gefühl stellt sich ein. Doch kennt Ihr die Situation, dass in der Erwartung der Auflösung die Handlung plötzlich komplett aus den Fugen gerät und sich dieses befriedigende Gefühl nicht im kleinsten Ansatz einstellen will? Nein? Dann seid Ihr mit großer Sicherheit noch nicht in den "Genuss" von "Mulholland Drive" gekommen, ein Film, bei dem man nur sehr schwer glauben kann, dass Drehbuch und Regie auf ein menschliches Wesen zurückzuführen sind.

Die Handlung beginnt (vielleicht auch endet, so genau kann man das wohl kaum sagen) an diesem Punkt: Eine schwarzhaarige Frau (Laura Harring) sitzt im Rückraum eines Autos und wird auf dem so genannten Mulholland Drive entlang kutschiert. Plötzlich hält ihr der Fahrer eine Pistole ins Gesicht und zwingt sie zum Aussteigen, doch noch bevor sie diesem Befehl Folge leisten kann, fährt ein anderer Wagen mit vermutlich angetrunkenem Fahrer mit voller Wucht auf das Auto, in dem die Frau sitzt, und es kracht fürchterlich. Sie überlebt jedoch äußerlich fast unverletzt und begibt sich herab in die Stadt - L.A. Dort übernachtet sie zunächst auf einem Grundstück und schleicht sich am nächsten Morgen in eine Wohnung. In dieser trifft kurze Zeit später Betty (Naomi Watts), eine angehende Schauspielerin, ein, die diese Wohnung für einige Zeit von ihrer Tante zur Verfügung gestellt bekommen hat. Im Bad macht sie Bekanntschaft mit der Unbekannten, die sich kurzerhand Rita nennt, und hält sie für eine Freundin ihrer Tante, von der sie über diesen Besuch einfach nicht informiert wurde.

Wie sich herausstellt leidet Rita unter Gedächtnisverlust und kann sich nicht einmal an ihren richtigen Namen erinnern. Durch einen anonymen Anruf bei der Polizei erfahren sie von einem Unfall auf dem Mulholland Drive und schließen aufgrund einer Schramme an Ritas Kopf darauf, dass sie wohl in diesen Unfall verwickelt gewesen ist. Bei einem Besuch im Imbiss "Winkies" glaubt sich Rita, als sie auf das Namensschild einer Kellnerin schaut, an eine Person Namens Diane erinnern zu können. Als ihr auch der passende Nachname einfällt, schauen die Beiden im Telefonbuch und finden einen passenden Eintrag samt Adresse. Nach einem kurzen Anruf, den Rita jedoch sofort abgebrochen hat, entschließen sie sich, der Wohnung einen Besuch abzustatten. Von einer anderen Mieterin erfahren sie, dass Diane seit einiger Zeit nicht mehr daheim war. Durch ein geöffnetes Fenster gelingt es ihnen, das Haus zu betreten, was sie jedoch vorfinden, erschreckt sie zutiefst - eine verweste Leiche im Bett…

Dies ist einer von sicherlich zehn irgendwie ablaufenden Handlungssträngen. Hier noch ein paar Kostproben: Regisseur Adam Kesher (Justin Theroux) lässt sich mit der Mafia ein und bekommt von dieser die Hauptdarstellerin für seinen nächsten Film aufgezwungen. Ein seltsamer Cowboy gibt ihm später den Ratschlag "Wenn Du es richtig machst, sehen wir uns noch ein Mal, ansonsten zwei Mal". Szenenwechsel: Scheinbar plaudern zwei Freunde ganz locker miteinander, als der eine plötzlich von dem anderen erschossen wird, da dieser hinter einem schwarzen Buch her ist. Erneut andere Szene: Ein kleiner seltsamer Mann sitzt in der Mitte eines dunklen Raumes auf einem Sessel und kontrolliert von da aus diverse Geschäfte. Nochmals andere Szene: Ein Mann wird im Hinterhof des "Winkies" von einem unheimlich und völlig Großstadt untypisch gekleideten Mann zu Tode (vielleicht auch nicht) erschreckt. Dieser Unheimliche ist übrigens im Besitz eines kleinen blauen Würfels. Keinen Zusammenhang entdeckt? Macht doch nichts, spätestens gegen Filmende wird sich schon irgendwie alles zusammenfügen. Nein! Eben nicht. Herzlich willkommen in der geisteskranken Welt des David Lynch.

"Mulholland Drive" beginnt wie ein verhältnismäßig gewöhnlicher Thriller, indem er eine Situation vorgibt und es nun gilt, Licht ins Dunkel zu bringen (der deutsche Nebentitel lautet übrigens "Straße der Finsternis", besser ließe sich dieser Film nicht beschreiben und die Redewendung passt somit wie die Faust aufs Auge). Auch wenn enorm viele Nebenhandlungen stattfinden und der Film mit einer ungewöhnlichen Erzählweise aufwartet, lässt sich die Identitätssuche von Rita und Betty eindeutig als Haupthandlungsstrang ausmachen, welchem es nicht allzu schwer fällt, zu folgen. Die Beiden gelangen nach etwa zwei Filmstunden in den Besitz jenes kleinen blauen Würfels und des dazu gehörigen Schlüssels (das "wie" ist momentan egal), es wird unheimlich (warum wird nicht verraten) und die Auflösung der in ihrer Gesamtheit verwirrten Story scheint nah. Denkste!

Denn nun dreht Lynch vollkommen durch. Sämtliche Personenkonstellationen, sämtliche Zeitebenen, sämtliche Handlungsabschnitte und -abfolgen, im Grunde alles, was bisher noch recht klar erschien, wird vollends über den Haufen geworfen und endet in einem katastrophalen, aber unheimlich faszinierenden Wirrwarr. So wacht zum Beispiel Betty im Bett der verwesten Leiche, also in der Wohnung von Diane, auf und wird auch als diese bezeichnet. Zwischen Rita, die nun Camilla heißt, und Regisseur Adam besteht plötzlich eine Verbindung und aus dem kleinen blauen Würfel des mysteriösen Mannes im Hinterhof entlaufen später zwei winzige Wesen. Unweigerlich stellt sich natürlich die Frage nach dem Sinn dieses - wer widerspricht, lügt - völlig unerwarteten als auch irren Schlussakts, eigentlich der gesamten Handlung. Tatsächlich ist dieser vorhanden; der wohl einzige Mensch auf der Welt, der uns diesen mitteilen könnte, heiße David Lynch und wird sich dazu sicherlich nicht hinreißen lassen. Ursprünglich ist "Mulholland Drive" als Pilotfilm für eine Serie im US-Fernsehen gedacht gewesen, doch wer will es den Verantwortlichen des Senders ABC in Anbetracht dieses Ergebnisses verdenken, diese Pläne auf Eis zu legen? Dies legt die Vermutung nahe, dass tatsächlich ein Sinn hinter diesen Begebenheiten steckt, den vermutlich niemand jemals erfahren wird. So kam "Mulholland Drive" also als eigenständiger Film in die Kinos.

Genialität oder Schwachsinn, nur schwer lässt sich einer dieser Begriffe auf diesen Film anwenden, weshalb der goldene Mittelweg zu suchen ist. Die letzten zwanzig Minuten wirken auf den Zuschauer unbestreitbar wie ein gewaltiger Faustschlag ins Gesicht, hervorragend inszeniert und in der Auswahl der Szenen grandios. Entscheidend ist letztendlich, welches Gefühl sich im Nachhinein einschleicht - entweder man fühlt sich in Anbetracht dieses genialen Irrsinns total verarscht und vertritt die Meinung, dass zu einem Film nun mal eine vernünftige Auflösung gehört, oder man ist dankbar für diesen Anfall von purem Wahnsinn, lässt sich von dieser Bilderflut erschlagen und nimmt dafür ein vollkommen offenes Ende (oder Anfang, wer weiß…) in Kauf. Ich persönlich ordne mich bedingungslos in die zweite Gruppe ein und erkenne diesen Versuch, konventionelle Filmabläufe mustergültig auf den Kopf zu stellen, dankend an. Hierbei handelt es sich um ein Experiment, das sich insgesamt gelohnt hat. Wenn auch die letzte Szene mit dem Wort "Silencio" vorüber ist, dürfte es fast unmöglich sein, einzelne Filmabschnitte in die korrekte chronologische Reihenfolge zu bringen, alle Zusammenhänge zwischen den Szenen und Charakteren herzustellen und natürlich auch zu erklären, warum bestimmte Personen urplötzlich in den Körpern anderer Menschen auftauchen. Am Ehesten ließe sich dies wohl noch mit einer Persönlichkeitsstörung erklären, ist aber rein spekulativ und in einigen Szenen bereits Widersprüchen ausgesetzt. Wer also behauptet, diesen Film verstanden zu haben, muss entweder hemmungslos lügen oder ein Genie sein - im Kaliber Lynchs.

Allerdings ist auch in diesem Film nicht alles Gold, was glänzt. So faszinierend die letzten Filmminuten auch sein mögen, so langweilig kommt gelegentlich der Rest des Films daher. Ab und zu finden zwar Handlungsfördernde Ereignisse statt; in den zwei Stunden vor dem Verständnis-Super-Gau herrscht jedoch auch oftmals Leerlauf. So sind dies Szenen, die ganz einfach nichts zur Handlung beitragen und zugleich keinerlei Faszination ausüben, sondern einfach nur langweilen. Nach etwa zwei Stunden erreicht der Film zudem ein Stadium, in dem man als Zuschauer fast jegliches Interesse verliert, da die Handlungen nun keinen Anschein mehr haben, irgendetwas zur Auflösung beizusteuern. Wie sich später herausstellt, können sie ja auch nicht zu etwas beisteuern, was gar nicht vorhanden ist. Glücklicherweise beginnt an dieser Stelle das Chaos und rettet den Film, wozu jedoch auch ausgezeichnet aufgelegte Darsteller beitragen, allen voran natürlich das Trio Justin Theroux, Naomi Watts und Laura Harring. Ihrer Leistung bedarf es nicht vieler Worte, einzig, dass sie sich in den kompromisslos düsteren und wirren Grundton des Filmes anpassen und dieses erfolgreich dem Zuschauer vermitteln. Ein Lob gebührt zu guter letzt ebenfalls dem dezenten, aber grandiosen Einsatz von akustischer Untermalung, die das eine oder andere Mal eine unheimliche Atmosphäre herbeizaubert.

"Mulholland Drive" ist ein wahr gewordener Albtraum, der jedoch den positiven Nebeneffekt besitzt, dass sich der Leser dieser Kritik wohl ganz schnell eine Meinung bilden kann, ob diese Art von Film interessant oder einfach nur dämlich ist. Also noch einmal: Wer total auf verworrene, düstere Thriller abfährt, ist hier genau an der richtigen Adresse, wobei wir schon bei der nächsten passenden Redewendung angelangt wären. Wer jedoch auf die obligatorische Erklärung zum Schluss keinesfalls verzichten kann, sollte um diesen Film einen weiten Bogen schlagen. Ein Meisterwerk? Totaler Schrott? Meisterhaft inszenierter Schrott trifft es wohl am Besten, wobei jeder, der sich gerne Filme anschaut, die auch mal nach anderen Mustern ablaufen, an diesem wohl kaum vorbeikommt. "Mulholland Drive" ist sicherlich nicht einer der besten, aber einer der außergewöhnlichsten Filme des neuen Jahrtausends.



Note: 2-



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